Du würdest das auch gern mal überspringen, oder? Diese typischen Aufwärm-Übungen für die Stimme, das Lippen-Blubbern, Tönen wie eine Sirene und so weiter. Das ist doch öde und Zeitverschwendung, lieber gleich loslegen mit Register- und Belting-Übungen, die Du für Deine Songs brauchst. Und dann vor allem: Deine Songs singen! Oder doch lieber die Zeit nehmen für ein Stimm-Warm-Up?
Fakt ist: Es fühlt sich nicht nur besser an, wenn Deine Stimme aufgewärmt ist. Dein Publikum hört es auch, wie man herausgefunden hat. Nach einem stimmlichen Warm-Up kannst Du besser und länger singen. Das liegt daran, dass Deine Stimme aus einem Muskel besteht, festgehalten von Knorpeln und Bändern. Wie alle Muskeln, kann auch Dein Stimm-Muskel seine beste Leistung erst bringen, wenn Du ihn vorher aufgewärmt hast.
Dafür brauchst Du ein paar einfache Übungen, die Deine Stimme aufs Singen vorbereiten. Ganz ähnlich wie die Mobilisierungsübungen, die Sportler am Anfang ihres Trainings machen.
Vorteile eines stimmlichen Warm-Up
Warm-Up-Übungen für die Stimme sind ein wichtiger Teil der täglichen Gesangsroutine. Sie
- lösen Spannungen in Nacken, Kiefer und Kehlkopf und aktivieren die Muskeln Deines Stimmapparats: So wird Deine Stimme freier, beweglicher und Du erreichst höhere Töne;
- mindern stimmliche Beigeräusche, Störungen und Schwankungen des Tons: Die Qualität und Stabilität Deines gesungenen Tons, auch Deines Vibratos, verbessern sich;
- verbessern Deine Resonanz: Deine Vokale bekommen einen volleren Klang, sogar Dein „Sängerformant“ wird lauter;
- beugen früher stimmlicher Ermüdung oder stimmlichen Verletzungen vor, die beim unvorbereiteten Singen mit hoher Energie drohen: So bist Du gut darauf vorbereitet, mit voller Stimme zu powern („belten“);
- stimmen Dich auf Deine bevorstehende Übungssession oder Deinen Auftritt ein: Stimme, Körper und Geist sind in einer erwartungsvollen Vorspannung für alles, was kommt.
Das sind gute Gründe, Deine Gesangsroutine immer mit Aufwärm-Übungen für Deine Stimme zu beginnen. Auch vor einem Auftritt nimm Dir Zeit für sie. Das verbessert Deine gesangliche Performance und hält Deine Stimme gesund.
Wie lang?
Wieviel Zeit ein Sänger sich für sein Warm-Up nimmt, kann verschieden ausfallen. Das hängt von der bevorstehenden stimmlichen Belastung, von der Gesangserfahrung und auch vom Lebensalter des Sängers ab. Ein Country-Sänger, der in Sprechstimmlage singt, wird weniger Zeit für ein Warm-Up brauchen als eine Musical- oder Soul-Sängerin. Wer mit hoher Stimme singt, viel beltet oder Kopfstimme einsetzt, braucht zum Beispiel mehr Vokalisations- und Registerübungen, um seine Stimme für einen Auftritt fit zu machen.
Lass es locker-flockig angehen, mit einem zügigen Überfliegen Deiner Stimmfunktionen. Ein Warm-Up soll die Stimme nur vorbereiten, nicht vorermüden, bevor es mit den eigentlichen Gesangsübungen oder dem Auftritt losgeht. Für Gesangsanfänger, die stimmlich schneller ermüden, empfiehlt sich eine eher kurze Aufwärmzeit von wenigen Minuten.
Erfahrene Sängerinnen und Sänger nehmen sich vor einem Auftritt häufig etwa 10-15 Minuten Zeit zum Aufwärmen ihrer Stimme. Da sie routinierter sind und genau wissen, welche Übungen für sie wichtig sind, können sie ihre Aufwärmzeit aber auch etwas kürzer halten. Eine Daumenregel gibt es: 5-10 Minuten sind ein guter Zeitrahmen für ein stimmliches Warm-Up.
Warm-Up-Routine: Übungen
Beim Singen ist Dein ganzer Körper in Aktion, vom festen, ausbalancierten Stand über die flexible Aufhängung Deines Kehlkopfs bis zu einer ausdrucksvollen Gesichtsmimik. Der beste Anfang für Dein Warm Up ist eine Lockerung und Dehnung Deines Körpers.
Streck Dich richtig aus, lass Kopf und Schultern kreisen. So löst Du Verspannungen in Nacken und Schultern. Streiche über Dein Gesicht und massiere sanft Wangen und Kiefermuskeln. Gähne dabei und fühle, wie die Anspannung aus Deinen Gesichtszügen weicht.
Dein Atem trägt den Ton. Nimm erstmal ein paar tiefe Atemzüge, lautlos. Spüre, wie sich Bauchraum und Brustkorb beim Einatmen weiten (lege dazu gern Deine Hände an die Flanken). Lass Deinen Atem dann bewusst langsam ausfließen mit einem stimmlosen „f – f – f“ oder „s – s – s“. Achte darauf, Deine Einatmungshaltung so lange wie möglich beizubehalten: Erst ganz am Schluss sackt die Dehnung Deines Brustkorbs in sich zusammen.
Lege Deine Stimme auf den Atem. Geh mit Lippenblubbern oder Zungen-R in kleineren Tonstufen auf- und abwärts. Falls Dir das angenehmer ist: Summen mit „m“ oder einem nasalen „ng“ (Sirenen) tut’s auch. Blubber oder summ die Töne schnell, über Deinen ganzen Stimmumfang. So wird Deine Stimme frei.
Dann bring Klangfülle in Deine Vokale. Sing „I – E – A – O – U“ auf demselben Ton. Wechsle auch die Vokale ab, zum Beispiel mit „I-E-I-E-I“ auf verschiedenen Tonstufen (1 – 2 – 3 – 2 – 1). Achte darauf, dass Deine Vokale eine einheitliche Resonanz haben, ohne plötzliche Klangabfälle oder Unebenheiten im Ton. Sing jeden Vokal auch einmal einzeln mit einer einfachen Tonfolge rauf und runter (1 – 3 – 5 – 3 – 1), schrittweise höher bis in die Kopfstimme und wieder zurück.
Verbinde Brust- und Kopfstimme mit Vocal Runs. Sing schnelle, weit ausgreifende Akkordstufen auf- und abwärts. Nimm dafür einen offenen Vokal wie „A“ oder „O“ (in „Song“). Das macht Deine Stimme beweglich und einsatzbereit für anspruchsvollere solistische Parts. Nimm zum Beispiel diese Stufenfolge, sie ist ein Klassiker der frühen Popular-Gesangstechnik:
Fang in Deiner Sprechstimmlage an und wiederhole die Stufenfolge dann höher, bis in Deine hohe Kopfstimme hinein. Sing mit mäßiger Lautstärke und nutze Deine Mittelstimme, um ohne hörbaren Bruch zwischen Brust- und Kopfstimme zu wechseln.
Zum Warm-Up gehört auch, die Muskulatur Deiner Zunge zu dehnen und zu lockern. Streck Deine Zunge über Deine Unterlippe hinaus und halte sie ein paar Momente so. Oder lass Deine Zunge mit geschlossenem Mund vor den Schneidezähnen im Kreis rollen. Einige Male nach rechts, einige Male nach links.
Geh am besten noch eine Artikulationsübung für Deine Zunge durch. Öffne Deinen Mund einen Finger breit und sing zum Beispiel ein flottes „gidde, gidde, gidde, gidde, gidde“ (auf den Tonstufen 1 – 2 – 3 – 2 – 1). Wiederhole das ein paar Mal, etwas höher, etwas tiefer.
Schwieriger, aber mit allen wichtigen Konsonanten, ist das Wort „glockida“, ebenso schnell, auf denselben Tonstufen. Achte darauf, dass Dein Kinn beim Artikulieren unbewegt und entspannt bleibt. So bereitest Du den Einsatz Deiner Zunge für schnell gesungene Song-Lyrics vor.
Jetzt bist Du bereit für Deine tägliche Arbeit an Deiner Gesangstechnik oder für die Probe mit Deiner Band. Noch wichtiger, falls Du einen Gig hast: Du bist bereit für Deinen Auftritt.
Cool-Down: Vorteile und Übungen
Und nach dem Singen? Eine große Überraschung aus der gesangspädagogischen Forschung ist, wie viel Cool-Downs für die Stimme bringen. Wie schon beim Warm-Up, können Sänger sich hier etwas von Sportlern abgucken. Cool-Down-Übungen im Sport setzen den Körper nach der Belastung wieder zurück in den Ruhezustand, lockern die Muskulatur und transportieren verbrauchte Stoffe ab.
Unser Tipp ist: Trainiere Deine Stimme wie ein Sportler, auch beim Cool-Down. Die Vorteile sind die gleichen. Stimmliche Cool-Down-Übungen nach einer anstrengenden Übungssession oder nach einem Auftritt
- regulieren die hohe Muskelspannung in Stimme und Kehlkopf wieder herunter: Deine Stimme wird wieder tiefer und Du kehrst zu einer angenehmen, entspannten Tongebung beim Sprechen zurück;
- setzen die Reparaturprozesse in Gang, die Deine Stimme wiederherstellen: Du erholst Dich stimmlich schneller;
- führen dazu, dass Du am nächsten Tag weniger Luftdruck von unten brauchst, um Töne zu erzeugen: Du spürst eine größere Leichtigkeit beim Singen.
Mit einem Cool-Down nach dem Singen kommst Du stimmlich wieder „runter“. Dein ganzer Stimmapparat spannt wohltuend ab und stimmt sich wieder auf Alltagsniveau ein. Das Wichtigste für Dich als Sängerin oder Sänger aber ist: Deine Stimme ist am nächsten Tag frischer und leistungsfähiger als ohne Cool-Down.
Zum Abwärmen reicht es, wenn Du ein paar einfache Vokalisen aus Deinem Warm-Up wiederholst, mit leichter Stimme und gleitenden Tönen. Statt offener Vokale nutze beim Cool Down lieber ein kleines „U“. Sing es kopfig und leise in angenehmer Brust- bis Kopfstimmlage, in fließenden Abgängen (zum Beispiel in den Tonstufen 5 – 4 – 3 – 2 – 1).
Wiederhole auch noch einmal die kleinen Sirenen mit Summen („m“) oder Lippen-Blubbern. Gleite beim Summen mit leisem, sanftem Ton (ohne „Kern“) über kleine Tonabstände (1 – 3 – 1). Steige damit schrittweise in den angenehmen Bereich Deiner Kopfstimme auf, und wieder ab in Deine Sprechstimmlage.
Gähne immer mal wieder zwischendurch, gern mit Stimme. Steig beim Gähnen mit einer kleinen Vokalise (1 – 2 – 3 – 2 – 1) nach unten, in Deine tiefen Stimmlagen ab. Das entspannt die Stimmbänder und lässt Deine Stimme wieder tiefer werden.
Dieselbe Wirkung hat das Knarren, auch „vocal fry“ genannt. Du erreichst diese aneinandergereihten, stimmlosen Glottisschläge, wenn Du an die Untergrenze Deines tiefen Stimmumfangs stößt. Zum Abschluss Deines Cool-Downs knarre einige Male hintereinander 5 Sekunden lang.
Fazit
Warm-Up- und Cool-Down-Übungen für die Stimme gehören zu einer smarten Routine des täglichen Singens. Sie machen Deine Stimme fit, ausdauernd und halten sie gesund. Nimm Dir immer Zeit für Dein Warm-Up: vor anstrengenden Gesangsübungen, vor einem Auftritt, wann und wo auch immer Du singst.
Und lass Deine Stimme jedesmal „runterkommen“ mit einem Cool-Down. So hat Dein Gesang auch am nächsten Tag wieder die Power, die Du brauchst – für Dein Publikum und für Dich selbst, damit das Singen Spaß macht.
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