Hast Du auch schon mal versucht, so zu singen: mit voller Stimme in hoher Lage? In der Rock- und Popmusik, im Soul, Heavy Metal oder in der Independent-Musik hören wir das ständig: diese hohen Töne, voller Power, Leidenschaft, am Anschlag. Das ist „Belting“, eine Tonqualität oder Gesangsweise, die das Publikum immer wieder in den Bann schlägt, elektrifiziert oder sogar in Ekstase versetzt.
In den Anfängen der Rockmusik war es das langgezogene, hohe „Well“, mit dem Elvis seine Songs begann – und wenn er dann seinem Publikum die erste Zeile entgegenschleuderte: „I heard the news: there’s good rockin‘ tonight“, saß keiner mehr auf den Plätzen. So geht das bis heute. Schau mal unten in das Musikvideo von Kelly Clarkson rein. Ihr Belting-Part beginnt mit der Zeile: „But since you been gone“, und es ist absolut passend, dass an dieser Stelle das tobende Publikum mit eingeblendet wird.
Was „Belting“ ist, lässt sich in wenigen Worten sagen: das Singen mit der Klang-Qualität des Sprechens in hoher Lage. Wie man das macht: richtig belten, vor allem stimmschonend, ist in solcher Kürze nicht zu erklären. Das ist eine anspruchsvolle, koordinativ komplexe Fähigkeit. In diesem Blog-Beitrag gehen wir dieser Fähigkeit und ihren Voraussetzungen auf den Grund, bis hin zu hilfreichen Tipps und Übungsvorschlägen.
Kennzeichen des Belting-Gesangs
„Singen aus voller Kehl und frischer Brust“, lautet eine Zeile in einem alten deutschen Lied. „Belting“ ist nur ein neueres Wort für eine Gesangsweise, die es vermutlich seit Tausenden von Jahren gibt. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Wort in den USA zur Abgrenzung vom klassischen Gesang gebräuchlich. Belting ist eine wichtige Stimmfarbe in der Popularmusik, kann erlernt werden und ist mittlerweile als legitime Gesangstechnik anerkannt („legit singing“). Kennzeichen des Belting-Gesangs im Unterschied zum klassischen Gesang sind:
- heller, sprachähnlicher Klang in hoher Stimmlage
- ein Text-geleiteter Zugang zum Song-Repertoire
- kein durchgängiges Vibrato (eher als Effekt)
Oft wird Belting verglichen mit dem Sprechen mit gehobener Stimme oder Rufen. In der Gesangspädagogik gibt es sogar die Umschreibung als kunstvolles Schreien („skillful yelling“), doch das ist etwas irreführend. Belting ist wie Rufen, aber andererseits auch kein Schreien oder Brüllen, wie bei einem Marktschreier oder Sportreporter, dessen Stimme in äußerster Anspannung auch schon mal rau wird oder sich überschlägt. Um diesen entscheidenden Unterschied zu verstehen, müssen wir uns die Stimmfunktionen vergegenwärtigen, die beim gesunden Belten im Spiel sind.
Singen mit Sprechstimm-Qualität: Vollschwingung versus hochgezogene Bruststimme
Beltet eine Sängerin, dann nutzt sie die Sound-Qualität des Sprechens. Beim Sprechen sind unsere Stimmbänder kurz und dick. In der Zeichnung unten siehst Du den Muskelbauch unserer Stimmlippen in der Sicht von oben, rot eingefärbt. Das ist unser Stimm-Muskel, anatomisch Thyroarytenoid-Muskel genannt, kurz: TA-Muskel.
Sprechen wir mit einem kräftigen, selbstbewussten Ton, dann führen wir unsere Stimmbänder zusammen und spannen den TA-Muskel an. Dadurch werden unsere Stimmbänder verkürzt und verdickt, sie schwingen in voller Breite. Das ist die „Vollschwingung“ oder, mit dem gebräuchlicheren Wort: „Bruststimme“ (weil wir die Resonanz dieser tiefen, kräftigen Töne vor allem im Brustraum spüren).
Verbunden mit der hohen TA-Aktivität ist eine hohe Schließrate der Stimmbänder (ähnlich wie bei Lippen, durch die Du beim Blubbern viel Luft bläst). Ihre Schließrate steigt umso mehr, je höher man singt (auf über 50 %). Dadurch werden starke Obertöne über 4.000 Hertz hinaus erzeugt – eine Resonanz, die die Stimme weit trägt.
Über etwas mehr als eine Oktave hinweg (8 Töne) können wir in diesem Vollschwingungs-Modus sprechen. Gehen wir höher, merken wir, dass der Tonraum endet, in dem wir noch komfortabel, ohne Enge oder Drücken, mit vollem Ton sprechen können. Ziehen wir unsere Sprechstimme unverändert weiter hoch, kommen wir in einen Übergangsbereich („Passagio“ genannt), in dem das Sprechen mühevoll, eher zu einem angestrengten Rufen wird. Und schließlich erreichen wir eine Grenze, an der wir nicht mehr mit voller Stimme höher aufsteigen können.
An dieser Grenze sackt unsere Stimme entweder ab oder sie bricht und überschlägt sich in die Kopfstimme. Was hier geschieht, können wir uns so klarmachen: Während die Stimmbänder mit aufsteigender Höhe weiter gedehnt werden, kann der TA-Muskel die hohe Spannung auf voller Breite irgendwann nicht mehr aufrechterhalten. Dann bricht die Vollschwingung der Stimmlippen zusammen und geht in eine „Randschwingung“ über – die Stimmlippen werden schmal und schwingen nur noch am inneren Rand. Das ist die „Kopfstimme“ (so genannt, weil wir ihre Resonanz überwiegend im Kopf spüren). Mit ihr können wir weiter aufsteigen zu höheren Tönen, allerdings um den Preis, dass unsere Stimme leiser und klanglich dünner wird.
Um in einen kraftvollen, sprachähnlichen Sound in hoher Stimmlage zu kommen, wollen wir nicht in die softere Kopfstimme übergehen. Doch so seltsam es klingt: Gerade in der Anbindung zur Kopfstimme liegt der Ansatz, wie wir in den Belt kommen. Drücken wir nur unsere Bruststimme nach oben, dann brüllen oder bellen wir, oder unsere Stimme überschlägt sich. So werden wir heiser und kommen doch nicht über die obere Grenze des Passagio-Bereichs zur Kopfstimme hinaus. Führen wir uns deshalb kurz vor Augen, worin die Kopfstimmfunktion besteht.
Kopfstimme und die richtige Balance fürs Belten
Wollen wir hohe Töne singen, müssen wir unsere Stimmbänder in die Länge ziehen. Auch das machen wir mithilfe eines Muskels. Er nennt sich „Cricothyroid-Muskel“, kurz: CT, und ist ein äußerer Kehlkopfmuskel, der unseren Kehlkopf nach vorne-unten kippt (genau genommen den Schildknorpel zum Ringknorpel hin). Durch diese Kippfunktion werden unsere Stimmbänder länger gezogen, die gesungenen Töne werden höher. Hier siehst Du es in der Seitenansicht:
An diesem Bild wird ganz klar, warum wir mit einer hochgezogenen Bruststimme allein nicht mehr weiterkommen. Werden unsere Stimmbänder mithilfe des CT immer weiter gedehnt, während wir in die Höhe gehen, müssen wir die gegenläufige, verkürzende Spannung aus dem Muskelbauch unserer Stimmlippen herausnehmen. Um Belten zu können, müssen wir lernen, dies behutsam und graduell zu tun, das heißt: gerade so viel Spannung herauszunehmen, dass der TA-Muskel der Dehnung standhält.
Beim Belten nehmen wir nicht so viel Spannung aus unserem Stimm-Muskel, dass unsere Stimmbänder aus der Vollschwingung herausfallen – in eine kopfstimmige Teil- oder Randschwingung. Wir bleiben bei einem vollstimmigen Singen mit hoher TA-Muskelaktivität, aber eben nicht mit voll verdickten Stimmbändern wie beim maximal lauten Rufen oder Brüllen. – Das ist auch gar nicht nötig: Im Unterschied zu vor-elektronischen Zeiten muss Belting heute nicht besonders laut sein. Das zeigen auch Lautstärketests mit erfahrenen Belterinnen und Beltern, die, wie alle, auf der Bühne mit Mikrofon und Soundsystem singen.
Was Sänger beim Belten tun, wird in der Gesangspädagogik „TA-dominante Stimmlippen-Aktivität“ genannt. Entscheidend dabei: Sie ist ausbalanciert mit der Kehlkopf-Kippfunktion des CT-Muskels, der die Stimmbänder dehnt. Es ist diese Ausbalancierung mit der CT-Funktion, die es Beltern erlaubt, auch über den Passagio-Bereich hinaus in hoher Lage mit voller Stimme zu singen. Und sie ist es auch, die das Belten von der bloß hochgezogenen Sprechstimme beim Brüllen oder Schreien unterscheidet.
Wie hoch man beim Belten gehen kann, ist von Stimme zu Stimme verschieden. Ein paar Orientierungspunkte gibt es aber doch: Baritone mit solistischen Ambitionen sollten bis zum G‘ belten können, Tenöre bis zum B‘ oder sogar hinauf bis zum C‘‘ (dem „hohen C“). Bei Frauenstimmen reicht der Passagio-Bereich weiter nach oben als bei Männern, etwa bis zum C‘‘ oder D‘‘. Frauen können beim Belten in der Regel bis zum D‘‘ oder Es‘‘ gehen, Sopranstimmen vielleicht noch ein paar Töne höher.
Voraussetzungen und hilfreiche Techniken fürs Belten
Was hilft uns, wenn wir in stimmschonender Weise belten wollen? Eine Schlussfolgerung können wir schon aus dem Gesagten ziehen: Um in hohen Lagen mit voller Stimme singen zu können, müssen wir eine gut trainierte, starke CT-Funktion haben.
- Daher ist es gut, ergänzend Kopfstimm-Übungen zu machen: zum Beispiel mit Lippen-Blubbern oder dem Vokal „u“ in kleinen Tonschritten aufwärts gleitend immer mehr Spannung aus dem Stimm-Muskel nehmen und leiser werden, in die Randschwingung hinein, bis der Ton immer kleiner, ja sogar unhörbar wird. Und umgekehrt aus der hohen, randstimmigen Kopfstimmlage wieder in die Sprechstimm-artige Vollschwingung hinein, indem Du graduell wieder mehr TA-Muskelspannung dazugibst (mehr dazu im Blog-Artikel „Deinen Stimmumfang nach oben erweitern“).
Wenn Du etwas Spannung aus Deinem Stimm-Muskel nimmst, um beim Belten höher gehen zu können, gehst Du genau genommen ein wenig in Deine Mittelstimme hinein („mixed voice“), die zwischen Deinem Brust- und Kopfregister liegt. Wie oben schon gesagt, ist der Übergang hier graduell. Was wir beim Belten brauchen, ist ein „Mix“ mit CT-Beteiligung, allerdings nicht kopfstimmig, sondern noch immer dominiert von einer starken TA-Muskelaktivität: die Tonqualität des gehobenen Sprechens oder Rufens bleibt unverändert.
- Teste die graduellen Übergänge nach jeder Seite einmal aus: von einem kopfstimm-dominanten Mix in einen TA-dominanten Mix und umgekehrt. Beginne z. B. kopfstimmig auf der Quinte (5. Ton) und steige langsam ab bis zum vollstimmigen Grundton, mit einem möglichst unhörbaren, stufenlosen Wechsel zwischen Kopf- und Brustregister. Dann sing dieselben Töne beginnend mit einem eher vollstimmigen Ton und gehe damit abwärts. Versuche auch mal, oben vollstimmig zu beginnen, abwärts gleitend aber leiser zu werden und in die Kopfstimme (Randschwingung) überzugehen.
Auch gesundes Belten ist eine hohe Belastung für die Stimm-Muskulatur und das feine Bindegewebe, aus dem die Stimmbänder bestehen. Um die Stimmbänder zu entlasten, empfiehlt sich, beim Belten den sogenannten „Twang“ einzusetzen. Er wird durch eine Verengung des Kehlkopf-Raums erzeugt und gibt der Stimme einen scharfen, durchdringenden Klang – geübt wird das zum Beispiel nach dem Klang-Vorbild eines quengelnden Kindes oder dem „Miao“ einer Katze. Das boostet die Tragfähigkeit der Stimme, ohne dass wir lauter singen müssen: im Oberton-Klangspektrum, dort, wo der sogenannte „Sängerformant“ liegt.
Zusätzlich gehen Belter im Rock- und Popgesang in die „Breitenspannung“. Beim Singen spreizen sie die Lippen in eine horizontale Vokalstellung. Das verkürzt den Resonanzraum im vorderen Vokaltrakt, zu dem auch die Lippen gehören, mit dem Ergebnis, dass die Töne heller klingen. Gerade bei textlastigen Songs in hohem Tempo dringt die Stimme so noch besser durch und die Lyrics bleiben gut verständlich.
Belting-Übungen
Zum Vorbild für Belting-Übungen dienen die erhöhte Sprechstimme oder das Rufen. Beispiele dafür sind das „Ey“ beim Rufen über die Straße, oder fröhliche Ausrufe wie „Yeah“ oder „Oy“. Typisch für Belting-Übungen ist die Orientierung an offenen Vokalen. Vor allem sind das die Vokale „ä“ (wie in „Bett“) oder das offene „o“ (wie „Sonne“). Als Einstiegsübungen gebräuchlich sind (der Unterstrich markiert den oberen, gebelteten Ton):
- absteigende Glissandi (stufenloses Abgleiten) mit „Hey!“ oder „Yeah“ oder „Wow“ (englische Aussprache, mit offenem o wie in „Wonne“). Stell Dir dabei vor, Du rufst über die Straße, oder Du stehst auf der Bühne im Theater und rufst zum Balkon hoch.
- Ähnlich, in Oktav-Schritten: „Taxi“ (englische Aussprache mit æ), das energische „How dare you!“ (ohne beim „r“ die Zunge einzurollen), genauso „Oh no you don’t“. Achte darauf, oben offene Vokale zu wählen und in den Twang zu gehen.
- Danach halte die Oktavtöne oben länger aus und gehe mit einer Vokalise abwärts, zum Beispiel: „Yea …“ oder „Wo …“ (englische Aussprache, offenes o) auf Tonstufe 5 (der Quinte) aushalten, dann abwärts gleiten nach 4-3-2-1. Beginne mit einem Ton in höherer Lage, den Du bequem rufen kannst, und wiederhole die Vokalise dann einen halben Tonschritt höher, so lange, wie der obere Ton stabil bleibt.
Männer und Frauen beim Belten
Ein Unterschied ist noch zu erwähnen, wenn es um das Einüben des Beltings geht. In der Regel fällt es Männern leichter, auf Anhieb zu belten, da sie es gewöhnt sind, in mittleren Stimmlagen mit voller Stimme zu singen. Deshalb müssen sie das Stimmregister nicht wechseln, wenn sie das TA-dominante Singen nach oben ausweiten.
Das ist bei vielen Frauen anders. Aus ihrer stimmlichen Sozialisation, zum Beispiel aus einem klassisch orientierten Gesangsunterricht, bringen sie oft die Gewohnheit mit, in hohen Lagen kopfstimmig zu singen (mit einer CT-dominanten Stimmlippen-Aktivität). Für sie ist das Belten oberhalb ihres Passagio-Bereichs dann mit einem ungewohnten Registerwechsel verbunden.
Dafür haben Frauen den Vorteil, dass ihnen die Übergänge zwischen Brust- und Kopfstimme in der „mixed voice“ leichter fallen, die für das Belten so wichtig sind. Hier zum Schluss ein schönes Beispiel nicht nur für das Belten, sondern auch für das kunstvolle Changieren zwischen voller Belt-Stimme und Kopfstimme: Beyoncé live mit ihrem Titel „Halo“.
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