Intonation: wie man beim Singen die Töne trifft

Bernadette & Friends13. Dezember 2023
Eine Zielscheibe mit Pfeilen symbolisiert das Töne treffen: Intonation gehört zu den sängerischen Grundfähigkeiten.

Als Ringo Starr den weltberühmten Song „With A Little Help From My Friends“ im Tonstudio sang, standen die anderen Beatles-Legenden eng um ihn herum. Er brauchte moralische Unterstützung beim Singen, heißt es. Seine ersten Zeilen im Song lauteten:
„What would you do if I sang out of tune?
Would you stand up and walk out on me?“

Den richtigen Ton treffen beim Singen: Diese Fähigkeit wird „Intonation“ genannt. Sie zählt zu den sängerischen Grundfähigkeiten. Singt einer schief, stehen die Zuhörer auf und gehen. Das heißt: Ende der Vorstellung, und für den angehenden Sänger: erstmal Tonreinheit üben. „And I’ll try not to sing out of key“, wie Ringo in dem Beatles-Song dann bekräftigt.

Oder ist das gar nicht mehr zeitgemäß? Wir leben doch im digitalen Zeitalter, mit KI-gestützten Tools für so ziemlich alles. Für Musikproduktionen wird der Gesang im Tonstudio nachträglich mit Pitch Correction auf die richtige Tonhöhe gesetzt. Oder gleich per Autotune: von vielen Stars sogar bei Live-Auftritten genutzt, um ihren Gesang elektronisch tonrein zu machen, bevor er durch die Lautsprecher kommt.

Stars können das machen, mit der nötigen Soft- und Hardware, nur: Kaum einer startet so seine Karriere. Wer erst noch bekannt werden will, verlässt sich nicht auf Autotune, sondern begeistert sein Publikum mit unverfälschtem Gesang. Unsere Empfehlung: Sieh elektronische Tools immer nur als sparsam einzusetzende Hilfsmittel, nie als Ersatz für fehlende stimmliche Fähigkeiten.

Zumal es peinlich werden kann, wenn es zu einer technischen Panne kommt. Das Internet ist voll von solchen Pannen und von Reality-Checks von Stars, die in ihrer Live-Performance auffällig weit hinter ihre aufwendig produzierten Musikvideos zurückfallen. Manchmal so weit, dass die Frage aufkommt: Kann der überhaupt singen?

Gleich den ersten Ton treffen: wie das geht

Kontrastprogramm: Stell Dir vor, eine Sängerin steht auf der Bühne, vor dem Mikro. Es ist eine kleine Bühne, das Publikum erwartet gespannt ihren Einsatz. Nach dem Intro zu dem Song singt sie ihren ersten Ton, und ihr Ton ist auf dem Punkt. Jeder im Publikum entspannt sich und gibt sich ihrem Gesang hin.

Wie macht sie das? Es klingt so simpel, punktgenau „den Ton zu treffen“. Was wir hören, der richtig gesungene Ton, ist so einfach wie ergreifend. Aber er beruht nicht auf einer einfachen, eindimensionalen Fähigkeit. Schon beim Singen ihres allerersten Tons nutzt die Sängerin gleich mehrere, ineinander greifende Fähigkeiten:

  • Projektion: Sie richtet sich mental auf ihren ersten Ton und den Verlauf ihrer ersten Gesangsphrase aus
  • Atemtechnik und Stütze: Sie atmet so viel Luft ein, wie sie für ihre ganze Phrase braucht, und aktiviert ihre Stützmuskulatur mit genau der Energie, die ihr erster Ton auf dieser Tonhöhe braucht
  • Stimmband-Aktivierung: Immer noch unmittelbar vor ihrem Toneinsatz, baut sie so viel Vorspannung in ihrer Stimm- und Kehlkopfmuskulatur auf, wie nötig ist, um den Ton auf dieser Höhe zu treffen
  • Monitoring und Korrektur: Während sie den Ton singt, hört sie ihren eigenen Ton (auditives Feedback), und falls ihr gesungener Ton von der Tonhöhe abweicht, auf die sie hinauswill, passt sie Stimmmuskel-Spannung und Stütze so an, dass ihr Ton genau auf der richtigen Höhe zu stehen kommt

Du siehst, es gehört mehr dazu, einen Ton richtig zu singen, als man so denkt. Trotzdem muss unsere erfahrene Sängerin nicht die aufgezählten Punkte wie eine Anleitung durchgehen, bevor sie ihren Ton singt. Sie projiziert einfach ihren Ton und fängt an, zu singen.

Einen Ton oder eine Melodiefolge richtig zu singen, ist wie Tanzen oder Fahrradfahren: Hast Du es einmal gelernt und viele Male gemacht, dann musst Du nicht mehr darüber nachdenken, wie Du es machst. Die Fähigkeit ist tief in Dein „neuromuskuläres Gedächtnis“ eingegraben, wie die Stimmwissenschaftler sagen. Du kannst sie jederzeit abrufen.

Du denkst, dass Du noch nicht so weit bist? Vielleicht hast Du ja in einem Audio-Mitschnitt gehört, dass Dein Gesang an manchen Stellen schief war. Deshalb gehen wir nun einige typische Schwierigkeiten durch, auf die Anfänger und Semiprofessionals immer wieder stoßen. Zu jedem Punkt geben wir Dir Tipps, die Dir helfen können, Deine Töne besser zu treffen. Und am Ende warten noch ein paar überraschende Erkenntnisse auf Dich, wie Zuhörer Deine Intonation wahrnehmen und was das mit Stilfragen zu tun hat.

Schwierigkeit 1: Ich höre nicht, wann ich falsch singe.

Um den richtigen Ton zu finden, müssen wir uns zu allererst auf unser Gehör verlassen. Wir müssen den Ton hören, den wir singen, und ihn mit der Tonalität unseres Songs abgleichen. Das heißt, wir vergleichen unseren gesungenen Ton mit dem harmonischen Gefüge der Musik, die von der Band gespielt wird (oder die wir selber auf Klavier oder Gitarre spielen). Je nachdem, wo unser Ton harmonisch steht, müssen wir hören, ob er für diese Tonstufe richtig ist oder zu tief oder zu hoch.

Tipps:

Manchmal hören wir unsere eigene Stimme einfach deshalb nicht, weil wir keine Monitor-Boxen im Proberaum oder auf der Bühne haben. Achte deshalb schon vorher darauf, dass Du eine Monitor-Box für Deinen Gesang hast, und mache einen Sound-Check. So kannst Du sicher sein, dass Du Deine Stimme bei Deinem Auftritt gut hörst.

Übst Du zu Hause, nimm Deinen Gesang zur Musik auf. Hörst Du Deine Stimme zum ersten Mal auf einem Audio-Mitschnitt, kann das irritierend sein, weil Du Deine Stimme so nicht kennst. Audio-Mitschnitte helfen Dir, Dich mit dem Stimmklang vertraut zu machen, den Dein Publikum von Dir hört. Und Du hörst, an welchen Stellen Du mit Deinem Ton danebenliegst. So kannst Du gezielt an diesen Stellen arbeiten und Stück für Stück Deine Tonreinheit verbessern.

Schwierigkeit 2: Töne in ungewohnten Stimmlagen.

Im Alltag haben wir unsere „sweet spots“, bevorzugte Stimmlagen für alles. Unsere Erzählstimme liegt in unserer Wohlfühllage, wir schimpfen in einer höheren Lage mit lauter Bruststimme. Eine hohe, kopfige Lage haben wir für sanfte, beruhigende Laute am Kinderbett. Sogar wenn wir uns über etwas lustig machen, haben wir eine bestimmte Stimmlage dafür, dort klingen wir vielleicht scharf näselnd-kopfstimmig.

Beim Singen treten wir aus diesen Gewohnheitslagen mit ihren typischen Sounds heraus. Viele Songs verlangen zum Beispiel, in dem ungewohnten Übergangsbereich zwischen Brust- und Kopfstimme zu singen. Zu diesem „Passagio“-Bereich gehören ein paar Töne rund um das eingestrichene E/F (bei Männern, bei Frauen geht das Passagio noch weiter hoch). Hier wird die Stimme vieler Ungeübter unsicher, sie schwanken zwischen den Stimmregistern – und ihr Ton schmiert ab, weil sie reflexhaft ihre Bruststimme hochziehen.

Tipps:

Übungen für Registerwechsel helfen Dir dabei, höhere Töne von Deiner Mittelstimme aus zielsicher anzusteuern. Auch Belting-Übungen können sinnvoll sein, um zu lernen, mit voller Stimme hohe Töne auszusingen, statt mit hochgezogener Bruststimme abzuschmieren.

Wichtiger noch als für Frauen ist es für Männer, Registerübungen zu machen. Bei Registerwechseln müssen Männer in ihrem Stimmapparat mehr Muskelmasse umschichten als Frauen. Deshalb haben Männer im Passagio-Bereich und in höheren Lagen häufig auch mehr mit Ton-Unreinheiten zu kämpfen.

Schwierigkeit 3: Töne sacken im Verlauf der Melodie ab.

Gesungene Töne sind eingebunden in eine Melodie. Das Auf und Ab der Melodie verführt uns dazu, uns das Rauf und Runter räumlich vorzustellen und stimmlich nachzubilden: Mein tiefer Ton ist da unten, tief und dunkel – dann steige ich auf bis zu diesem schwierigen hohen Ton, der ist da ganz oben, hell und strahlend.

Mit einem solchen Vorstellungsbild klingen meine tieferen Töne nicht nur dunkel. Ich lasse meine Mundwinkel hängen und singe die tiefen Töne auch „flat“, zu tief intoniert. Und da oben, bei meinem hohen Ton, wird mir eng, ich quetsche – und gleite ab. So sacken unsere Töne ab, während wir singen. Wenn wir nicht schon am Anfang zu tief ansetzen.

Tipps:

Denke das Auf und Ab Deiner Töne in die umgekehrte Richtung (es ist leichter zu machen als es sich liest): Während Du mit Deiner Melodie aufwärts singst, denk abwärts, von oben nach unten. Und aufwärts, wenn Du mit Deinen Tönen absteigst. Tiefe Töne sind „da oben“, hohe sind „unten“. Nimm gern versuchsweise einmal Deine Hände dazu: Streck Deine Hände nach oben aus (Handflächen nach oben, als würdest Du ein Geschenk überreichen), und nun senke sie langsam nach unten, während Du eine Tonleiter bis zur Oktave hoch singst. Und hebe Deine Hände wieder, während Du von der Oktave die Tonleiter absteigst bis zum Grundton.

Außerdem: Deine tiefen Töne sind nicht nur „da oben“, sie sind auch „hell“ und strahlend. Genauso wie die hohen Töne. Sing Deine tiefen Töne mit Deinem sonnigsten Lächeln. Wenn Du zu hohen Tönen aufsteigst, behalte das breite Lächeln bei, öffne dabei nur etwas mehr Deinen Mund, um Raum für Deine Vokale zu schaffen. Mit diesem gegenläufigen Visualisieren und dem Lächeln, der sogenannten „Breitenspannung“, gelingt es Dir besser, beim Singen einer Melodie „in tune“ zu bleiben.

Intonation: objektiver Test versus Beurteilung durch den Zuhörer

Tonreinheit lässt sich objektiv prüfen, der Test ist einfach: Schlag auf Deinem Instrument den Ton an, mit dem Du Deine Gesangsphrase beginnst, besser noch den ganzen Grundakkord. Dann sing Deine Phrase a capella durch (ohne Begleitung). Wenn Du fertig bist, sing nochmal neu den ersten Ton an, schlag dazu den Ton auf Deinem Instrument an und vergleiche. Der Abstand, den Du hörst, ist Deine Abweichung vom richtigen Ton.

Es ist eine gute Übung, sogar eine ganze Strophe oder den Refrain Deines Songs a capella zu singen. Und anschließend auf Deinem Instrument zu prüfen, ob Du noch auf Deinem Ton bist oder ob (und wie weit) Du beim Singen abgesackt bist. Mit einem Audio-Mitschnitt kannst Du dann prüfen, wo Du beim Singen abfällst, und an den heiklen Stellen arbeiten.

Sogar während Du singst, kannst Du prüfen, wo Deine Töne genau liegen. Dafür rufst Du einfach einen Vocal Pitch Monitor oder Tuner aus dem Internet auf und aktivierst das Mikro in Deinem Handy oder Laptop. Da siehst Du in einer Grafik die exakte Höhe Deiner Töne vor Dir.

Soviel zur Selbstkontrolle, und zum objektiven Prüfen von Tonreinheit. Was wir bisher außer Acht gelassen haben, das ist die Beurteilung der Intonation eines Sängers durch die Zuhörer. Die sind es ja, für die wir am Ende singen. Und jetzt kommts, das bestätigen diverse Studien: Zuhörer, sogar hochmusikalische Zuhörer, beurteilen die Tonreinheit von Stimmen gar nicht so objektiv, nur nach der Tonhöhe.

Ihre Beurteilung, wie gut ein Sänger oder eine Sängerin den Ton trifft, fällt sehr verschieden aus, je nach der Gesamtqualität der Stimme, die sie hören. Auffällig ist: Der Gesang von Stimmen mit großer Klangfülle (Timbre) wie auch von Stimmen, die Vibrato einsetzen, wird als weniger „out of tune“ wahrgenommen. Sogar wenn die Töne mehr danebenliegen als die anderer Stimmen.

Was noch bleibt: Resonanz, Vibrato & Stilfragen

Das ist ein guter Grund, auch an Deiner Resonanz, der Klangfülle Deiner Vokale, zu arbeiten. Und ein Vibrato für Dich zu finden, das Du bei Bedarf einsetzen kannst, sei es auch nur als Effekt. Mehr noch: Finde Deinen Stil, auch in Deiner eigenen Intonation.

Jetzt wirst Du Dich fragen: Im Ernst, schief singen als stilistische Wahl? Tatsächlich gibt es Sänger, die leicht über dem Ton singen, wie zum Beispiel der vielfach ausgezeichnete irische Rocksänger Van Morrison. Das kann dem Gesang mehr Power, einen vorwärtstreibenden Charakter verleihen. Oder einem plötzlichen Ausbruch von Gefühlen mehr Aufmerksamkeit verschaffen.

Audio-Stimmanalysen vor allem von Stars aus der vordigitalen Zeit zeigen unterschiedliche charakteristische Abweichungen vom reinen Ton. Lass Dich in Deiner Intonation gern ebenso von Deinen Emotionen leiten. Nur, wisse immer, was Du tust und wo Du mit Deinem Gesang gerade bist. Und unter der Voraussetzung, dass Du weißt, wie Du Deine Töne triffst.

Dann steht auch keiner mehr auf und geht, wenn Du mal bewusst „out of tune“ singst. Sondern Du bist auf dem Niveau angekommen, auf dem auch die Stars mit ihrer Intonation spielen.

Gute Übungen für einen resonanten, tragfähigen Stimmklang findest Du in meinen Online-Gesangskursen, unter: https://singasong-behappy.de/online-gesangsunterricht/

Sing A Song – Be Happy

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