Dynamisch singen: von leise bis ganz laut

Bernadette & Friends7. November 2023
singasong-dynamisch singen wird durch Flüstertüte symbolisiert

Spricht einer immer in derselben Lautstärke, langweilen wir uns schnell. Singt einer so, sind wir nach kurzer Zeit entnervt. Bei mäßigen Sängern mit sonorer Stimme geht uns das manchmal so, und wir schalten ab.

Wir brauchen Laut und Leise, und alles, was dazwischen liegt. Mit einem Wort: „Dynamik“. Wir wollen es hören in der Musik und im Gesang, weil sich darin die Dynamik des Lebens selbst spiegelt. In den Laut-Leise-Wechseln hören wir das große Auf und Ab von bewegten Momenten, Gefühlen und Leidenschaften. So wie hier in dem Song „Skinny Love“ von der Singer-Songwriterin Birdy:

Birdy – Skinny Love

Mit leidenschaftlichen Gefühlsausbrüchen wie Freude oder Wut ist es im Gesang so, wie im echten Leben: Wir werden laut. Oder, bei anderen Gefühlen oder Stimmungen, leise bis hin zum Flüstern. Anders als im echten Leben müssen wir beim Singen erst lernen, wie das geht – jedenfalls wenn wir uns nicht die Stimme kaputtmachen wollen.

Laut: Bruststimme und Belten

Für Sängerinnen und Sänger ist es eine Grundfähigkeit, zwischen Laut und Leise zu wechseln, je nachdem, was sie in einem Song ausdrücken wollen. Wie laut oder leise sie singen, können sie auf verschiedenen Wegen kontrollieren: über den Luftdruck von unten, die Wahl des Stimmregisters (vollstimmig, mittel- oder kopfstimmig), den Mundraum mit dem weichen Gaumen und die Lippen (breit oder oval).

Laut wird Dein Gesang durch:

  • einen höheren Luftdruck, der von unten her Deine Stimmbänder in Schwingung setzt – so, wie Dein Lippen-Blubbern lauter wird, wenn Du mehr Luft durchbläst
  • Singen mit voller Stimme, wobei Deine Stimmbänder auf voller Breite schwingen – „Bruststimme“ genannt, in hoher Lage „Belting“
  • den „Twang“-Sound, der die Obertöne des Gesangs verstärkt – so wird Deine Stimme tragfähiger
  • einen weit geöffneten Resonanzraum – vom Kehlkopf bis zum angehobenen Gaumensegel (Zäpfchen)
  • Öffnung der Lippen zu einem breiten Lächeln – so wird Dein Ton heller und strahlender

Nur bitte nicht alles auf einmal. Singen mit hohem Energiepegel heißt nicht, bis zum Anschlag. Mach Dir klar, dass Rock- oder Popsänger gar nicht so laut singen müssen, gemessen in Dezibel-Zahlen. Sie nutzen Mikrofone und Verstärker für ihren Gesang, noch dazu viele Effekte, die ihre Stimme akustisch laut machen. Eine Daumenregel ist: So laut wie beim Sprechen mit gehobener Stimme ist im Rock- und Popgesang laut genug.

Um in einem Rock-Song laut zu werden, kommt es nicht auf messbare Lautstärke an, nicht auf ein Maximum an Druck und so weiter. Für kraftvolle Töne in hoher Lage brauchst Du gar nicht allzu viel Luftdruck, sondern vielmehr die richtige Aktivierung Deines Stimmmuskels zum Belten. Dein Stimmmuskel, das ist der Muskelbauch, der Deine Stimmbänder zusammenzieht und auf voller Breite kraftvoll schwingen lässt (siehe unten im Bild). Das gibt Deinem Gesang volle Klangfülle und Power.

Bleiben wir noch kurz dabei, was das Besondere am Belten ist, weil Du das Belten zum Powern in hoher Stimmlage unbedingt brauchst: Dein Stimmmuskel ist gerade genug angespannt, dass er Deine Stimmbänder auf voller Breite schwingen lässt – nicht mehr als nötig, damit sich Deine Stimmbänder noch in die Länge ziehen können, um die hohen Töne zu erreichen. Das wird „bruststimmiger Mix“ genannt, im Gegensatz zur bloßen „Bruststimme“ mit maximal verdickten, kurzen Stimmbändern wie beim sehr lauten Sprechen.

Zeichnungen von Kehlkopfansichten

Als Vorbild zum Üben des Belts dient das Rufen mit offenem Vokal: zum Beispiel ein lang gezogenes „Hey“ oder „Taxi“ (englisch, mit „ä“) beim Rufen über die Straße, oder ein fröhliches „Yeah“ oder „Oy“. Eine Übungsanleitung dazu findest Du in unserem Artikel über Belting

Leise: Kopfstimme und Twang

Der Schlüssel zur Abstufung von Laut und Leise ist die richtige Balance zwischen Brust- und Kopfstimme. Beim leiser Werden machst Du es umgekehrt wie beim laut Singen (Folgendes geschieht nicht bewusst, sondern ganz von selbst, indem Du leiser wirst): Du brauchst weniger Luftdruck, und Du nimmst Spannung aus Deinem Stimmmuskel raus, bis Deine Stimmbänder nur noch am inneren Rand schwingen. Das ist Deine „Kopfstimme“. Mit der Randschwingung kannst Du noch viel höhere Töne singen – weil Du so Deine Stimmbänder weit in die Länge dehnen kannst (unten im Bild).

Ein reiner Kopfstimmton klingt leise und sehr dünn, resonanzarm. Auch beim leisen Singen gibt es aber einen Mix, der Deinem Gesang den Sound gibt, den Du brauchst. Du singst mit Randschwingung, aber dazu mit ein klein wenig Muskelspannung vom Stimmmuskel. Gerade genug, um Deinem Kopfstimmton mehr Klangfülle, etwas „Kern“ zu geben. Das ist Dein „kopfstimmiger Mix“.

Zeichnungen von Kehlkopfansichten - Kopfstimme

Gute Sängerinnen und Sänger können ihrer Stimme auch bei leisen Tönen einen intensiven, ausdrucksstarken Klang verleihen. Sie behalten zum Beispiel ihren Twang-Sound bei, und auch ihre Mundöffnung in die Breite. Beides hilft Dir dabei, einen Klangabfall beim kopfstimmigen Singen zu vermeiden. So wirst Du leise, aber Deine kopfstimmigen Töne behalten ihre Brillanz. Damit dringt auch Dein leiser Gesang durch und geht dem Publikum „unter die Haut“.

Die Königsübung: Crescendo und Decrescendo

Wir wollen laut singen können, und leise und intim. Aber eben auch alles dazwischen. Es sind die vielen Abstufungen dazwischen, die wir bei großen Stars oft bewundern. Das An- und Abschwellen von Tönen, mit dem sie so gekonnt jäh aufflackernde Leidenschaft oder Gefühlswallungen zum Ausdruck bringen.

Meisterhaft gelingt das John Legend hier live mit dem Titel „All Of Me“. Hör mal, wie er seinen Gesang an- und abschwellen lässt. Und dabei „alle Register zieht“, von Brust- bis Kopfstimme:

John Legend – All of me

Töne an- und abschwellen zu lassen ist die Hauptübung für stimmliche Dynamik. Nimm zuerst einen Vokal in bequemer, mittlerer Stimmlage und lass ihn anschwellen von ganz leise bis ganz laut. Mach es so:

  • Geh in ein mildes Lächeln, atme ein (nur so viel wie vor einem überraschten Ausruf „Oh!“) und sing einen langen Ton: beginne so leise Du kannst mit dem Vokal A (oder einem anderen offenen Vokal). Dann erhöhe allmählich die Lautstärke, bis Dein Ton ganz laut wird. In der Musik-Fachsprache wird das ein „Crescendo“ genannt.
  • Achte darauf, von Anfang an Deinen Ton zu stützen – auch wenn Dein Ton am Anfang ganz leise ist und Du nur minimalen Luftdruck zum Singen brauchst, halte Deinen Brustkorb geweitet (Flankenstütze), bis zum Ende Deines Tons.
  • Und gib so früh wie möglich etwas Twang in Deinen Ton, für die klangliche Brillanz.
  • Falls Dir das Halten eines geraden Tons schwerfällt, kannst Du Deinen Ton mit etwas Vibrato stabilisieren.
Zeichnung eines Cresendos

Das Tolle ist: Auf nur einem Ton hast Du im Verlauf Deines Crescendo alle oben genannten Stimmregister durchlaufen. Gestartet bist Du mit einem reinen Kopfstimmton und bist über einen kopfstimmigen Mix in Deine Mittelstimme übergegangen. Von dort aus, etwa in der Mitte Deines Crescendo, bist Du in einen bruststimmigen Mix übergegangen, bis zu einem vollen Bruststimmton ganz am Ende.

Nun sing denselben langen Ton mit einem Decrescendo. Beginne laut, mit Stütze und Twang, und werde allmählich leiser: von einem bruststimmigen Ton über die beiden Mix-Stufen bis hin zum kopfstimmigen Ende.

Zeichnung eines Decrescendos

Und nun beides in einem Atemzug: Sing den langen Ton mit Crescendo und Decrescendo.

Zeichnung eines Crescendos - Decrescendos

Wiederhole die Übungen, indem Du schrittweise tiefere und höhere Töne an- und abschwellen lässt. Geh nur so hoch, wie Du noch mit sicherer Stimme ein Crescendo aussingen kannst – erstmal nur so hoch, wie Du belten kannst. Bedenke: In die volle Bruststimme kannst Du in höheren Lagen nicht mehr gehen, aber in einen kraftvollen bruststimmigen Mix.

Steigst Du noch weiter in die Höhe, in hohe Kopfstimmlagen, kommst Du mit Deinem Crescendo nur noch bis zu einem kopfstimmigen Mix. Versuche in der Höhe nichts zu erzwingen, sondern nutze den Twang und die Breitenspannung Deiner Lippen. Das gibt Deinem kopfstimmigen Ton mehr Kern und Tragfähigkeit, ganz ohne mehr Kraftaufwand.

Was Du dabei lernst

Die Crescendo-Decrescendo-Übungen sind ein echter Klassiker, um eine große Bandbreite an Lautstärke-Abstufungen beim Singen einzuüben (in der klassischen Gesangstradition sind sie unter dem Titel „messa di voce“ bekannt). Aber nicht nur das, Du übst mit ihnen ganz nebenbei grundlegende Fähigkeiten ein, die Du zum Singen brauchst:

  • Erstens die Koordinierung Deiner Stimmregister, Deiner Brust- und Kopfstimme, mit bruchlosen Übergängen, wie oben beschrieben – so lernst Du den vollen Umfang Deiner Stimme mit guter Klangfülle nutzen.
  • Zweitens übst Du die Stütze für Deine Töne: Viele Anfänger neigen dazu, bei leisen Tönen ihre Atemkontrolle und Flankenstütze zu lockern. Das lässt die Töne hauchig oder zittrig werden oder würgt sie in hohen Lagen sogar ab. Bei den Crescendos lernst Du, auch bei leisen Tönen mit minimaler Luftsäule von unten Deine Flanken weit zu halten. Nicht nur, wenn Dein Ton laut, sondern auch wenn er leise ist, brauchst Du besonders viel Stützkraft, um ihn zu stabilisieren.
  • Drittens übst Du einen guten Tonansatz ein: Lässt Du beim Crescendo Deinen Ton sanft anschwellen, hilft Dir das, von einem harten, „glottalen“ Tonansatz wegzukommen, oder auch von einem verhauchten Tonansatz mit zu viel Luft. Das sanfte Anschwellenlassen des Tons, der sogenannte „balancierte“ Tonansatz, ist der gebräuchlichste im Rock- und Popgesang und er schont die Stimme.

Anwendung: Dynamik in eine Song-Zeile bringen

Zum Abschluss dieser Übungsreihe wende das Ganze doch mal auf eine Song-Zeile an. Nimm eine kleine Melodie mit Text und sing sie mit Crescendos und Decrescendos. Unten haben wir ein Beispiel für Dich abgebildet. Du kannst es natürlich gerne durch eine Zeile aus Deinem Lieblingssong austauschen.

Beim Durchsingen der Zeile in drei Schritten wird Dir auffallen, dass die Lautstärke-Abstufungen ganz unterschiedlich sind: einmal unten leise und oben laut, dann umgekehrt oder etwas dazwischen. Drei Mal anders, jedes Mal über eine andere Stimmregistrierung. Es ist eine tolle Übung auch für das Singen mit einem bruchlosen Wechsel zwischen Brust- und Kopfstimme.

Die Öffnung der Klammern zeigt die ungefähre Lautstärke an. Viel Spaß beim Singen!

Zeichnung von Noten, die unterschiedlich mit Kopf- und Bruststimme gesungen werden sollen

Gute Übungen für Registerwechsel, Stütze oder die Erweiterung des Stimmumfangs findest Du auch in meinen Online-Gesangskursen. Schau gern in mein Kursangebot rein: https://singasong-behappy.de/online-gesangsunterricht/

Sing A Song – Be Happy

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