Die großen Stars des Rock und Pop live zu sehen, wird nie langweilig. Sie singen einen Song nicht jedes Mal gleich, sondern immer etwas anders. Je nachdem, was sie beim Singen spüren oder bei ihrem Publikum wahrnehmen, verändern sie ihre Melodie oder den Rhythmus. Vielleicht ist es nur ein kleiner melodischer Schlenker, vielleicht singen sie ein leidenschaftliches Wort hoch oben oder verändern unerwartet den Groove ihres Gesangs.
Das ist „Improvisation“: die spontane Veränderung von Melodie oder Rhythmus beim Singen. Für jede Sängerin und jeden Sänger, der keine klassischen Kompositionen singt, ist es wichtig, das zu können. Die Fähigkeit zum Improvisieren bedeutet sängerische Freiheit, und sie bringt eine persönliche Note in den Gesang. Ohne sie bleibt auch der gefühlvollste Gesang ein bloßes Nachsingen, sogar wenn es ein eigener Song ist: immer gleich und am Ende langweilig für das Publikum.
Viele angehende Sänger trauen sich aber nicht, von der vorgegebenen Gesangsmelodie ihres Lieblingssongs abzuweichen. Sie wissen nicht, was sie stattdessen singen sollten. Und dann ist da noch die Angst, „falsche“ Töne zu singen. Für den Fall, dass es Dir auch so geht, möchten wir Dir gleich zu Anfang eine einfache Regel mitgeben: Was sich für Dich richtig anhört, das ist richtig! Also „feel free“: Probier es aus, erst einmal zu Hause in Deiner geschützten Umgebung.
Nachfolgend geben wir Dir Tipps, wie Du Melodien verändern kannst, welche Zusatztöne immer passen und wie Skalen Dir beim Improvisieren helfen können. Dazu kommen am Ende noch ein paar Hilfsmittel für Rhythmus und Groove.
Die Melodie verändern: passende Töne finden
Nimm Dir mal eine Gesangszeile aus einem Deiner Lieblingssongs vor, vielleicht den Anfang einer neuen Strophe, und sing den ersten Ton höher oder tiefer (je nachdem, was sich für Deine Stimmlage gut anfühlt). Dann geh über ein paar Durchgangstöne wieder zur Originalmelodie zurück. Tipp: Spiel die Akkordfolge der Gesangsphrase auf Deinem Instrument oder auf einem Playback, immer wieder. Und finde Töne, die in diesem Gesamtzusammenhang für Dich „richtig“ klingen.
Zu jedem Akkord in einem Popsong passen noch weitere, zusätzliche Töne. Das Tolle ist: Jeden dieser „Optionstöne“ kannst Du über dem Akkord singen, es klingt immer gut. Suche dazu den Akkord heraus an der Stelle Deines Songs, die Dich interessiert, und spiel den Akkord auf einem Instrument. Zu einem C-Dur-Akkord zum Beispiel kannst Du sechs verschiedene Töne singen:
Melodische Bausteine und Skalen
Du brauchst nicht jede Deiner Improvisationen Ton für Ton neu erfinden. Viele angehende Sänger lassen sich von wiederkehrenden melodischen Variationen inspirieren, die sie bei ihren Lieblingsstars hören. Das sind typische Tonverzierungen oder Vocal Runs, die sich oft als Bausteine für eigene Improvisationen eignen.
Außerdem gibt es vorgefertigte melodische „Treppenstufen“, an denen Du auf- und absteigen kannst, Tonstufen, die immer passen. Auch die großen Stars nutzen sie für ihre Improvisationen: „Skalen“. Bestimmt hast Du schon Gitarristen gehört, die zu jedem Akkord passende Soli spielen können, ohne dabei groß nachzudenken. Der Trick ist: Sie spielen einfach die Töne der Skala rauf und runter, die zu dem Akkord passt.
Nutze diese Skalen als Ideengeber für Deine eigenen Improvisationen. Um eine passende Skala zu finden, musst Du nur wissen, was der Grundakkord Deines Songs ist. Steht Dein Song in Dur, passt so gut wie immer die sogenannte „pentatonische“ Skala (fünf Tonstufen). Für einen Song in C-Dur (C-E-G) sind das die folgenden Töne, auf- und abwärts gesungen:
Ist der Grundakkord Deines Songs dagegen in Moll, zum Beispiel A-Moll (A-C-G), dann passt diese Skala:
Darf Deine Impro etwas ins Soulige gehen? Dann nutze die Blues-Skala. Typisch für sie sind die „Blue Notes“, Du erkennst sie an dem b-Vorzeichen.
Auf den ersten Blick mag das wie trockene Musiktheorie aussehen, aber das täuscht. Die Skalen sind überall zu hören, wo Sänger und Sängerinnen improvisieren. Hör Dir nur Aretha Franklin an, die Queen of Soul, was sie alles mit nur einer Skala ausdrücken kann: Vom Anfang, in ihrer freien Improvisation, bis zum Ende ihres Songs singt sie in der Blues-Skala.
Du siehst, die Skalen gehören auf jeden Fall in den Werkzeugkasten Deiner melodischen Improvisation. Unser Tipp: Setze sie sparsam ein. Sie sollen Dich nicht dazu verleiten, Deine Songs von vorne bis hinten mit souligen Melodiefloskeln vollzupacken – obwohl das eine gute Übung sein kann. Übe die Skalen zu verschiedenen Akkorden, und mit unterschiedlichen Vokalen (I-E-A-O-U). Dann bau Teile von ihnen ein, wo Du Deiner Melodie mehr Gefühl oder Eleganz geben möchtest, zum Beispiel als Auf- oder Abgänge.
Rhythmen: Clapping und die Stimme als Percussion-Instrument
Zum Improvisieren gehört auch, kreativ mit Rhythmen umgehen zu können. Durch rhythmische Verzögerungen wie Synkopen, durch vorgezogene Töne oder neue Betonungen kann der Gesang einen anderen Groove bekommen. Soul-Ikone James Brown zum Beispiel hat einen Gesangsstil entwickelt, bei dem nicht die Melodie, sondern harte rhythmische Akzente im Vordergrund stehen, in immer neuen Variationen. Das Tolle daran: Wenn die Rhythmen gut sind und grooven, geht die Musik in die Beine. Das sehen wir auch im R & B und im Rap.
Das erste, was Du dafür brauchst, ist rhythmische Sicherheit und immer zu wissen, wo Du bist im Takt. Eine klassische Übung ist, beim Singen mit den Füßen die Zählzeiten 1 und 3 zu stampfen und die 2 und 4 zu klatschen. So haben es auch Soul-Größen wie Aretha Franklin oder James Brown von klein auf in ihren Gospel-Chören gelernt. Dazu noch ein Tipp: Bist Du nicht sicher, ob Du rhythmisch auf dem Punkt bist, dann sprich den Rhythmus Deiner Gesangsphrase zuerst, bevor Du singst.
Eine große Hilfe ist es auch, beim Singen einen Shaker oder einen Tamburin zu benutzen. Ob es Hand-Clapping, Shaker oder Tamburin ist, es hilft Dir dabei, ein sicheres Rhythmusgefühl zu entwickeln und Deinen ganzen Körper mit einzubeziehen. So bringst Du Deinen Gesang zum Grooven – und Dein Publikum dazu, mit dem Fuß zu wippen oder sogar mitzutanzen.
Sobald Du rhythmisch sicher bist, kannst Du auch eigene rhythmische Figuren in Deinen Gesang einbauen. Das ist der Anfang rhythmischer Improvisation. Ein Trick dabei ist, Deine Stimme wie ein Percussion-Instrument zu benutzen, wie der Jazz-Sänger Al Jarreau es hier macht:
Diese Art der Improvisation, seine Stimme wie ein Instrument zu benutzen, wird „Scat-Gesang“ genannt. Das ist eine ganz eigene Kunstform, und wenn Du nicht gerade im Jazz unterwegs bist, brauchst Du natürlich nicht zu scatten. Überhaupt brauchst Du nicht viele Töne machen oder komplizierte Rhythmen singen. Fang mit einfachen melodisch-rhythmischen Bausteinen an, die Dir gefallen, und bau sie mal hier, mal da in Deinen Gesang ein.
Mach Audio-Mitschnitte von Deinen Improvisationen, damit Du Dich selbst korrigieren kannst – und damit Dir gute Einfälle nicht verloren gehen. Am besten hol Dir außerdem Feedback bei einer guten Gesangslehrerin. Sie wird Dir auch helfen, beim Improvisieren Deine eigene, persönliche Note zu finden.
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