Coversongs singen: die Arbeit am Text

Bernadette & Friends31. Januar 2023
Noten, eine Gitarre und Kopfhörer: Hier ist jemand gerade dabei, einen Coversong einzustudieren.

Oft werden Singer-Songwriter mehr geschätzt als Sänger, die Coversongs singen. Viele denken, einen Song nachzusingen sei nicht besonders kreativ, auch wenn sie die stimmliche Leistung bewundern. Doch diese Denkweise beruht auf einem Irrtum. 

Eine gute Sängerin singt einen Coversong nicht einfach nach. Sie macht ihn sich zu eigen, zu ihrem eigenen Song. Viele Stars in der Rock- und Popmusik wurden berühmt, bis heute, indem sie die Songs anderer gesungen haben. Mit viel Witz und Kreativität haben sie fremde Songs so umgearbeitet, dass sie danach mit ihrem eigenen Namen verbunden blieben. 

Hier sagst Du Dir vielleicht: Klingt ja toll, aber wie mache ich das denn? Wie gehe ich vor, um aus meinem Coversong mehr zu machen als einen Song von meinem Lieblingsstar, den irgendeinernachsingt, sondern zu meinem Song? Zugegeben, es kann hier kein Patentrezept geben, schon gar nicht eine Erfolgsgarantie. Trotzdem haben wir eine kleine Anleitung für Dich erstellt, die Dir bei Deiner Songarbeit helfen soll. Mit dem Ziel, Dich dabei zu unterstützen, Deinen Lieblingssong so zu singen, dass Dein Publikum Dich hört, und nicht mehr nur einen Ersatz für das Original. 

Den Startpunkt finden: Visualisierung

Songarbeit beginnt mit Dir selbst. Frag Dich als erstes: Warum dieser Song? Immerhin geht ja um einen Song, der in Dir das Bedürfnis weckt, ihn zu singen. Da gibt es etwas, am Text, vielleicht auch nur ein Wort, mit einem besonderen Sound gesungen, was Dich tief anspricht. Etwas, was raus muss, was Du einem Publikum mitteilen möchtest.

Ein Beispiel: das „Hello“, mit dem Adeles gleichnamiger Song beginnt. Dieses erste „Hello“ klingt fast tonlos, irgendwie verloren. „It’s me“, heißt es weiter, da wird klar, dass sie telefoniert. Und: „I was wondering if after all these years you’d like to meet …“ – Eine ganz konkrete Situation, die aber alles Vorangegangene offenlässt. Sie öffnet einen Raum, in ihre Vergangenheit, vielleicht auch in Deine eigene Vergangenheit als Zuhörer. Bei vielen ruft dieser Einstieg sofort Bilder, Erinnerungen an abgebrochene Beziehungen wach. 

Hast Du so eine Zeile in Deinem Coversong gefunden, die in Deiner ganz persönlichen Erfahrung nachhallt, die starke Gefühle, Stimmungen oder inspirierende Gedanken weckt, dann hast Du schon Deinen Startpunkt gefunden. Nimm Dir ganz oldschool ein Blatt Papier und einen Stift. Schreib auf, und zwar ganz konkret: Wo bist Du, wenn Du diese Worte aus dem Song hörst? Schließ die Augen und beschreibe, wie es ist an jenem Ort, wie Deine Umgebung aussieht, welche Tages- oder Nachtzeit es ist, wer sonst noch da ist, wie Du Dich dort fühlst. 

Schon mit diesem ersten Schritt entfernst Du Dich vom Original. Die Bilder aus dem Musikvideo von Adele hören für Dich auf zu existieren. Du hast den Song in Deine eigene Bilderwelt übertragen – sei es in Anknüpfung an reale Erlebnisse oder ganz fiktiv. Diese „Visualisierung“ ist auch deshalb wichtig, weil sie eine direkte Verbindung zwischen Dir und dem Songtext schafft. Der Star, der bisher zwischen Dir und den Songlyrics stand, tritt sozusagen beiseite und Du nimmst seinen Platz ein. 

Viele Gesangstalente meinen, sie müssten einen Coversong genauso nachsingen wie ihr Original. Und sie machen das wirklich gut. Trotzdem gelingt es ihnen nicht, ihr Publikum zu überzeugen, die Begeisterung bleibt verhalten. Das hat etwas damit zu tun, dass das Publikum ein feines Gespür dafür hat, wer da singt. 

Schematisch ausgedrückt: Es ist ein Unterschied, ob Adele „Hello“ singt, oder ob Du als Adele „Hello“ singst, als eine Art Mittlerfigur oder Ersatz – oder ob Du, einfach Du selbst, „Hello“ singst. Also schieb sie, den großen Star, beiseite und sing Dein eigenes „Hello“. Mit Deiner eigenen Projektion all dessen, was das Wort für Dich bedeutet. Es wird anders klingen, und schon bist Du in einer anderen Ausgangslage: Du hast die Aufmerksamkeit des Publikums, das gespannt darauf ist, wie es weitergeht.

“Deine Song-Interpretation: die fünf W-Fragen”

Aus dem Schauspielbereich bekannt sind die fünf W-Fragen. Sie können Dir dabei helfen, das Szenario, in dem Dein Song stattfinden soll, festzulegen. Und Deine Rolle in diesem Szenario. Wenn Du vor einem Publikum stehst und singst, bist Du immer auch Schauspieler. Du stellst Dich ganz in die Lyrics Deines Songs, wirst zum Hauptakteuer der Geschichte, die er erzählt, oder zur mitfühlenden Erzählerin, je nachdem. 

Damit sind wir schon bei der ersten W-Frage: Wer bist Du in dem Song? Notizen helfen Dir, festzulegen, wie alt Du bist, wie Deine Lebenssituation gerade ist, wie Du da hingekommen bist. 

Zweitens: Warum singst Du den Song, was möchtest Du erreichen? Adele sagte mal in einem Interview zu ihrem Song „Hello“: Sie habe ihn schreiben müssen, damit alle ihre vergangenen Lieben, zu denen sie keinen Kontakt mehr hat, sie hören können. Ihr Bedürfnis, gehört zu werden, ist von Anfang bis Ende als tragender Grund zu spüren.

Drittens: Was singst Du in dem Song, welche Botschaft hat der Text? In Adeles Songtext fallen dramatische Wendepunkte auf: Ein paar Zeilen nach ihrem ersten „Hello, it’s me“ stellt sich heraus, dass ihr Gegenüber sie nicht hören kann. Vielleicht spricht sie nur auf die Mailbox, oder ihr Anruf kommt gar nicht an. Beim Sprechen mit sich selbst wird ihr dann die enorme Distanz zu ihrem früheren Liebhaber bewusst: „a million miles“. Im Refrain schließlich wird das „Hello“ zu einem unüberbrückbaren, verzweifelten „Hello from the other side“, das Adele mit hoher Stimme heraussingt. 

Studiere die Lyrics Deines Songs wie ein Stück Literatur und deute sie. Mit dem Unterschied, dass es kein Richtig und Falsch gibt, sondern nur Dich und die Lyrics: Text und Subtext, Geschehensablauf, Bilder, die Dir in den Sinn kommen. Das klingt anspruchsvoll, eher geeignet für Songs wie den von Adele, der tatsächlich so etwas wie ein kleines Musikdrama ist. Aber auch wenn Du einen Partysong singst, kommt es auf Deine Projektion an: auf die Tiefe und die Bilderwelt, die Du den Zeilen Deines Songs verleihst.

Viertens: Wo bist Du, während Du singst? Adele sieht sich in einem abgelegenen Landhaus. Du vielleicht ganz woanders. Zeichne ein genaues Bild davon, wo Du bist und was Du tust, während Du den Text singst. Als Adele ihr „Hello from the other side“ singt, hat sie das Haus verlassen und steht draußen.

Fünftens: Wann findet das alles statt, in welcher Zeit? Erzähle Dir selbst auch eine Geschichte darüber, was davor geschah und was Dir danach bevorsteht. Bei Adele geben ein Schnurtelefon und alte Möbel Hinweise auf die Zeit. Und auf ihre Vergangenheit verweisen Flashbacks mit Szenen aus einer früheren Beziehung. 

Sprechprobe

Mit dieser Vorarbeit hast Du ein eigenes Setting für Deinen Song und Deine Rolle darin festgelegt. Im nächsten Schritt ist es sinnvoll, den Text Deines Songs – nein, noch nicht zu singen, sondern zu sprechen. Ungefähr wie ein Schauspieler bei einer Theaterprobe: Nimm Dir Deine Notizen und vergegenwärtige Dir zu jeder Songzeile Deine selbst erarbeiteten Inhalte. 

Lass Dich ganz von diesen Inhalten, Bildern und Gefühlen leiten, während Du nun den Text sprichst, mit einem Stimmklang, Betonungen und einer Stimmführung, die dazu passen. Je nachdem, wo Du in der Dramaturgie des Songs gerade bist, kann das ein aufgewühltes Sprechen mit hoher Stimme sein, es kann gefühlvoll gehaucht, ein gequälter Ausruf sein, ruhig erzählt oder vieles mehr. 

Wieder am Beispiel: Vielleicht ist Dein „Hello“ freudig-erwartungsvoll, während Adeles „Hello“ schon am Anfang niedergedrückt klingt. Angenommen, Dein Ziel, warum Du den Song singst, ist nicht die Bewältigung einer unglücklich abgebrochenen Beziehung. Stattdessen willst Du Deinen früheren Lover zurückhaben, einen Neuanfang machen. Dann wird Dein „Hello from the other side“ nicht resignativ klingen, sondern eher leidenschaftlich und kämpferisch. 

Auf dem Weg zu Deinem Song

Nun geht es darum, Dein gesprochenes Wort mit all dem Ausdruck, den Du ihm verliehen hast, in die Melodie und Rhythmik des Songs zu übertragen. Nimm Dir dafür alle Freiheiten, die Du brauchst:

  • Transponiere den Song in eine Tonart, die zu Deiner Stimmlage und Deinem Vortrag passt. Singst Du frei, ohne das Original oder Playback im Ohr, merkst Du sehr schnell, in welcher Tonlage sich Dein Gesang am besten entwickeln kann. Von ihr ausgehend legst Du die Tonart für Deinen Song fest – für Dein Instrument oder für Dein Playback. 
  • Auch die Melodie des Songs kannst Du verändern. Passen melodische Verzierungen, besonders betonte Höhen oder Tonlängen nicht zu Deiner Sprachmelodie, dann ändere sie. Fällt es Dir schwer, an solchen Stellen Töne zu finden, die sich harmonisch in die Akkord-Abläufe des Songs einfügen, können Improvisationstechniken helfen.
  • Experimentiere mit Rhythmus und Tempo. Wieder ausgehend von Deinem Sprachduktus, zu dem Du gelangt bist, gib ein rhythmisches Hand-Clapping oder einen Shaker dazu. Mithilfe einer Drum-Machine kannst Du dann Deinen ganz eigenen Rhythmus für den Song festlegen. 

Probiere Dich aus, mit unterschiedlichen Tonarten, melodischen Variationen, schnelleren oder langsameren Tempi. Viele Hobbysänger tun das nicht, aus lauter Verehrung für das musikalische Original, das sie covern und das sie so originaltreu wie möglich nachsingen wollen. 

Zugegeben, für Gesangsanfänger kann es motivierend und lehrreich sein, ein Vorbild zu imitieren. Auf längere Sicht hemmt das jedoch ihre eigene musikalische Entwicklung. Und es ist auch nicht zielführend, wenn sie vor Publikum singen wollen. 

Willst Du kein Imitator sein oder Tanzmusik machen, ist der Maßstab für Deinen Coversong nicht: Er ist gut, wenn Du klingst wie das Original. Sonst könnte Dein Publikum besser auf einer Party vom DJ das Original hören oder gleich zu Hause bleiben. 

Dein Song ist gut, wenn er bei Deinem Publikum ein Gefühl der Bereicherung hinterlässt. Weil Dein Publikum die Story des Songs aus einer neuen Perspektive gehört hat. Oder Du Deine Zuhörer mit einer unerwarteten Emotion überraschst hast. Oder weil Du sie vom Hocker gehauen hast – Du selbst, mit Deiner Power, in einer Rolle, die Du für den Song definiert hast. Nicht als Stellvertreterin Deiner Lieblingssängerin. 

Trotzdem wollen wir sie nun doch einmal hören und sehen mit ihrem Musikvideo: Adele mit ihrem Song „Hello“, der vor ein paar Jahren zu einem international gefeierten Nummer-1-Hit geworden ist:

Deine Songarbeit beginnt mit Dir selbst. Begleitend gehört dazu auch die Arbeit an Deiner gesanglichen Ausdrucksfähigkeit. Suchst Du Gesangsübungen zum Aufbau Deiner Stimme, dann schau gern in meine Online-Gesangskurse rein.

Sing A Song – Be Happy

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