Bühnenpräsenz: Wege zum Ziel

Bernadette & Friends18. Oktober 2021
Bühnenpräsenz mit Flammen

„Wir waren die erste Band in der Musikgeschichte, die von einem Arsch dirigiert wurde.“ So der Überlieferung nach die Worte des Schlagzeugers D.J. Fontana über Elvis Presley. Und diese Worte waren nicht abwertend gemeint, sondern ganz buchstäblich. Bei den frühen Auftritten der Band mit dem späteren Superstar war das Publikum so laut und hysterisch, dass die Musiker weder Elvis noch sich selbst hören konnten. Sie mussten sich deshalb an den Bewegungen von Elvis als Takt- und Impulsgeber orientieren. Der „Arsch“, der die Band führte, das war der berühmte Hüftschwung des King of Rock ‚n‘ Roll. Er diente der Kommunikation, mit Band und Publikum. Und Kommunikation ist ein Schlüssel zur Bühnenpräsenz.

„Präsent“ ist eine Stimme oder eine Sängerin, wenn sie im Hier und Jetzt die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf sich zieht. Voll da sein – das Publikum in den Bann ziehen, unterhalten und begeistern: das ist Bühnenpräsenz. Wie gelingt das? Statt sich nach allgemeinen Kriterien umzusehen, ist es manchmal hilfreicher, sich ein paar gute Beispiele anzusehen. Ein älteres, aber immer noch gutes Beispiel für Bühnenpräsenz sehen wir hier: Elvis’ Live-Performance von „Suspicious Minds“ 1970.

Bühnenpräsenz & Entertainment

Obwohl Elvis einen ganz eigenen Stil hatte, können wir aus seiner Performance einiges lernen: das Anfeuern der Band, die besonders enge Kommunikation mit dem Schlagzeuger, die Blicke ins Publikum. Er bleibt nicht lange an einem Ort, sondern bewegt sich über die ganze Bühne. Probier es doch mal aus: Nimm mehr Raum auf der Bühne ein. Geh nach links, sing dort ein, zwei Leute aus deinem Publikum an, geh nach rechts, geh zu deinen Musikern, die gerade spielen, oder setz dich zwischendurch auf eine Monitor-Box. Wenn es dir Spaß und Freude bereitet, dich auf der Bühne zu bewegen, dann baue das unbedingt in deine Bühnen-Performance ein. Du wirst sehen: das Publikum geht mit, weil sich dein Spaß auf alle überträgt.

Elvis macht noch mehr. Der Song folgt einem vorhersehbaren, festgelegten Ablauf, hat Strophen, Refrain, Mittelteil, aber Elvis durchbricht das Schema mit unerwarteten Aktionen. Das Unerwartete fesselt die Aufmerksamkeit des Publikums. Und Humor. Den einen Moment setzt sich Elvis dramatisch in Szene, nimmt sich einen Moment später aber wieder selbst zurück und lacht. Menschen kommen zu einem Live-Konzert, um unterhalten zu werden. Selbst dann, wenn deine Songs ernst und düster sein mögen, geht es letztlich um Entertainment.

Fehlerkultur & Sicherheit

Ist dir in dem Video aufgefallen, dass zwischendurch einiges schiefgeht? Die Performance ist keineswegs perfekt, die Band, auch Elvis, machen Fehler. Aber das macht nichts, im Gegenteil: das schafft Nähe. Perfektion, die Angst, Fehler zu machen, einen hohen Ton vielleicht nicht zu kriegen, das macht viele Sängerinnen und Sänger auf der Bühne unsicher oder hemmt sie. Die Folge davon: Die Unsicherheit überträgt sich aufs Publikum, es fühlt sich unwohl und wendet sich innerlich ab. Aber keine Bange. Selbst die größten Stars haben Fehler gemacht, vielleicht hast du es eben gar nicht gemerkt: auch Elvis hat in dem Video einen dieser heiklen hohen Töne ‚versungen‘. Die Lehre daraus lautet: Arbeite an deiner Performance, aber sei gut zu dir selbst und erlaube dir, Fehler zu machen. Nicht nur einmal, sondern viele Male. Nur so lernen wir dazu und werden besser.

Sich einen Song zu eigen machen

Zur Vorbereitung auf einen Song gehört nicht nur, ihn stimmtechnisch gut singen zu können. Songs erzählen eine Geschichte, und das Publikum kommt zu einem Live-Konzert, um eine gute Geschichte zu hören. Bevor eine Sängerin mit einem Song vor ihr Publikum tritt, muss sie sich daher fragen: Warum will ich den Song singen? Wie viel von mir steckt in den Lyrics des Songs? Was will ich davon mit meinem Publikum teilen oder ihm als Botschaft mitgeben?

Nehmen wir an, unsere Sängerin möchte den Titel „Suspicious Minds“ singen und stellt sich diese Fragen. Dann wird sie vielleicht schon den Anfang des Songs ganz anders singen als Elvis, weil die Worte „caught in a trap“ und „can’t walk out“ einen ganz anderen Widerhall in ihren persönlichen Erlebnissen haben. Vielleicht sind ihre Gefühle dazu so, dass sie diese Worte ganz verhalten, in sich gekehrt singen möchte, vielleicht wird ihre Stimme voller ohnmächtiger Wut sein, wenn die Stelle kommt: „we can’t go on together with suspicous minds“, oder noch ganz anders. Macht sie sich den Song so zu eigen, wird daraus ihre ganz eigene, mit anderen Worten: ihre „authentische“ Interpretation.

Ein Beispiel dafür, wie man es anders als Elvis und trotzdem „magisch“ und fesselnd machen kann, ist die Sängerin Beth Gibbons von Portishead. Sie bleibt statisch hinter ihrem Mikrofon stehen und inszeniert sich mit nichts weiter als einer Zigarette und ihrer ausdrucksstarken Stimme. Hier ist sie mit ihrem Song „Glory Box“:

Der nächste Schritt beim Erarbeiten eines Songs ist: Proben, viel proben. Aufnahmen von sich selbst machen, am besten gleich Video-Aufnahmen, ansehen, Feedback einholen und wieder proben. Hilfreich ist es, zudem einen Vocal-Coach in den Prozess einzubinden, um die Song-Interpretation durch eine gute Gesangstechnik zu unterstützen bzw. abzusichern. Eine solche umfassende Vorbereitung verhilft einem Sänger dazu, mit einem Gefühl der Sicherheit vor sein Publikum zu treten. Ist er von dem überzeugt, was er singt und wie er seine Botschaft rüberbringt, kommt auch die Bühnenpräsenz. Das Publikum wird gebannt sein.

Dramaturgie

Wie gute Geschichten, haben auch Songs einen Spannungsbogen, einen dramaturgischen Aufbau, der die Aufmerksamkeit des Publikums von Anfang bis Ende führt. Er ergibt sich aus der intensiven persönlichen Auseinandersetzung des Sängers mit den Lyrics seines Songs. Wenn du Lust hast, schau zum Schluss noch einmal rein in ein Meisterstück solcher dramaturgischen Inszenierung: Elvis Presley mit dem Titel „You’ve Lost That Lovin’ Feelin’“. Einer der Höhepunkte in dem Song sind die souligen Wechselgesänge zwischen Elvis und den Sweet Inspirations, der afroamerikanischen Backing Group in der Band. Apropos: Schon die Mutter der großartigen Whitney Houston, Cissy Houston, sang dort eine Zeit lang mit. Die Sweet Inspirations waren bis zum Schluss ein fester Bestandteil der Elvis-Presley-Show. Hier das Video:

Sing a Song – Be Happy!

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