Sie sind ikonisch, diese extrem hohen Töne, die Sopranistinnen in manchen Opern-Arien singen. Es sind Töne, mit denen die Sängerinnen in Akkord-Stufen zu schwindelerregenden Höhen aufsteigen, durchdringend und von brillanter Klarheit. Zu den berühmtesten Beispielen gehört die Arie der Königin der Nacht aus Mozarts „Zauberflöte“. Hier sehen wir aus nächster Nähe die Sopranistin Diana Damrau, die ihrer Rolle als rachsüchtige Königin alle Ehre macht:
Was macht die da oben mit ihrer Stimme? Und kann ich das lernen? Das sind Fragen, die wohl jeder gesangsbegeisterten Zuhörerin hier in den Sinn kommen.
Singen im Pfeifregister: Effekte und Besonderheiten
Vieles ist noch ungeklärt, doch viele Stimmwissenschaftler sind sich sicher, dass hohe Frauenstimmen oberhalb ihrer Kopfstimme noch ein weiteres Stimmregister haben. Bei Sopranistinnen beginnt der Wechsel zu diesem höchsten Register in der Regel über dem C‘‘‘ (oder D‘‘‘), das ist doppelt so hoch wie das berühmte hohe C (das C‘‘). Meist wird es „Pfeif“- oder „Flageolet-Register“ genannt, weil die Töne an den Klang des Pfeifens erinnern. Im englischen Sprachraum spricht man dabei von den „Whistle Notes“.
In dieser Höhe sind die Vokale nicht mehr voneinander unterscheidbar, die gesungenen Melodien verlieren endgültig ihre Textverständlichkeit. Deshalb wird das Singen im Pfeifregister vor allem zur Verzierung eingesetzt oder als dramatischer Effekt. In der klassischen Musik gibt es dafür die treffenden Begriffe „Koloraturarie“ und „Koloratursopran“.
Auch in Musicals, im Pop und R & B begegnen uns diese Töne von überirdischer Brillanz wieder. Wir hören sie als Verzierungseffekt, zur Charakterisierung einer Rolle oder Figur oder als Ausdrucksmittel für gehobene Gefühle oder Stimmungen. Das Singen im Pfeifregister ist eine Fähigkeit, über die auch manche Männerstimmen verfügen, die aber vor allem hohe Frauenstimmen kultiviert haben.
Mariah Carey zum Beispiel ist bekannt dafür, in ihren Songs über ihre Kopfstimme hinauszugehen, in die Sphäre der Pfeiftöne. In dem Video unten sehen wir sie live mit ihrem Song „Emotions“. Ähnlich wie Koloratursopranistinnen singt sie diese höchsten Töne in Stufen aufwärts, in klassischer Fachsprache ausgedrückt: in schnellen „Arpeggios“.
Vielleicht ist Dir beim Ansehen aufgefallen, dass Maria Carey ihre Töne im Pfeifregister sogar mit Vibrato singen kann. Sie kann ihren Gesang auch im Pfeifregister noch gut kontrollieren, und wir hören keinen schroffen Übergang: Ihre höchsten Koloraturtöne sind bruchlos angebunden an ihre Kopfstimme – so wie schon bei der Königin der Nacht.
Aus stimmwissenschaftlicher Sicht
Stimmwissenschaftlich gibt es heute Zweifel daran, ob Sopranistinnen wie Diana Damrau wirklich in einen neuen Mechanismus der Tonerzeugung übergehen, wenn sie ihre Koloraturtöne singen. Viele Stimmforscher gingen früher, aber auch noch heute davon aus, dass beim Singen in dieser Höhe der größte Teil der Stimmbänder abgedämpft wird und nur ein kleiner Teil vibriert – unter hoher Spannung.
Manche neuere Beobachtungen der Stimmband-Schwingungen deuten hingegen darauf hin, dass Sopranistinnen diese Töne im Wesentlichen so erzeugen wie im tieferen kopfstimmigen Bereich. Das Singen in der Koloraturoktave wäre dann eher wie das Singen mit einer nach oben erweiterten Kopfstimme: Die Stimmbänder sind extrem gedehnt und schwingen am Rand.
Wie auch immer der Mechanismus der Tonerzeugung hier sein mag, festzuhalten ist: Was an Beispielen wie oben so bewunderns- und nachahmenswert ist, das ist das kontrollierte, an die Kopfstimme angebundene Singen in der Koloraturoktave. Etwas ganz anderes sind die Pfeiftöne, die Kinder oder Erwachsene manchmal beim erschrockenen oder spielerischen Kreischen erzeugen.
Vermutlich entstehen diese Töne, indem mit hohem Druck Luft durch einen winzig engen Spalt der Stimmbänder gepresst wird. Solche Luftverwirbelungen können auch schon mal glockenklar klingen. Meistens sind sie klanglich unschön, vor allem aber kaum kontrollierbar und für den Gesang ungeeignet.
Übungen und Tipps
Fühlst Du Dich wohl beim Singen in hoher Sopranlage, dann lohnt es sich, auch Dein Pfeifregister mal zu erkunden. Nutze dazu am besten Deine Kopfstimme als Sprungbrett.
- Die Königs- oder besser Königinnen-Disziplin sind schnelle Arpeggios, die wie die Töne eines Akkords übereinander geschichtet sind. Beginne mit den auf- und absteigenden Arpeggios im oberen Bereich Deiner Kopfstimme. Wiederhole die Arpeggios dann in Halbtonschritten aufwärts, bis in den Tonraum des Pfeifregisters hinein.
- Arpeggio- oder Skalenübungen im Pfeifregister erfordern eine sorgfältige stimmliche Vorbereitung. Nimm Dir Zeit, um Deine Stimme gut aufzuwärmen, mit Lippen-Blubbern oder leisen Sirenen auf- und abwärts. Sing vorher auch Vokalisen in allen Tonlagen, mit leichter Stimme und einem frühen Übergang in die Kopfstimme.
- Wenige Minuten Pfeifregister-Übungen pro Session sind schon genug. Die Kehlkopf-Muskulatur, die Deine Stimmbänder bis in diese extremen Höhen dehnt, braucht Zeit, um sich zu entwickeln – ebenso wie das feine Bindegewebe Deiner Stimmbänder selbst.
Übrigens sind die schnellen Auf- und Abgänge in Akkordstufen auch tolle Übungen für Deine stimmliche Beweglichkeit und Schnelligkeit bei Tonübergängen – und zwar in allen Stimmlagen. Je nach dem, welchen Musikstil Du bevorzugst, bieten sich dafür nicht nur Dur- oder Moll-Arpeggios an, sondern auch pentatonische Skalen oder Blues-Skalen.
Hast Du vor, Dein Pfeifregister auszubauen, dann lass dich dabei am besten von einer erfahrenen Gesangslehrerin unterstützen.
Tolle Übungen zum Aufbau Deiner Stimme und zur Erweiterung Deines Stimmumfangs findest Du in meinen Online-Gesangskursen.
Ich freue mich auf Dich,